Das Machen der Garten Metropolis © Stadt Bordeaux
10. November 2021
Susanne Eliasson | Feuilleton
Die Gartenmetropole
Die Gartenmetropole ist eine Art und Weise die grossen Wohngebiete zu betrachten, die wir in den letzten Jahrzehnten ausserhalb unserer Stadtzentren gebaut haben, um zu verstehen, wie diese Art der Urbanisierung ‚ihren Teil’ zu den zukünftigen Veränderungen der Stadt beitragen kann.
Im Jahr 2013 wurden wir von der Stadt Bordeaux beauftragt, gemeinsam mit den Landschaftsarchitekten Michel und Claire Corajoud eine Entwicklungsstrategie für den Stadtteil Caudéran zu entwerfen. Caudéran hat sich im Laufe der Zeit von einer ländlichen Landschaft mit Weinbergen und kleinen Dörfern zu einem bedeutenden Wohngebiet von Bordeaux entwickelt, das aus einer Summe individueller Wünsche besteht: eine Urbanisierung ohne Urbanismus, aber mit vielfältigen Wohnqualitäten. In Caudéran stehen die Landschaft und die Bebauung in enger Beziehung zueinander und ergänzen sich gegenseitig. Darüber hinaus werden die Qualitäten des öffentlichen Raums hauptsächlich durch den privaten Bereich erzeugt, durch grüne Zäune, Vorgärten und Bäume, die im Kollektiv auf die Straße übergreifen.
Beziehung zwischen Gebäudeform und Landschaft © Antoine Espinasseau
Die Qualitäten des öffentlichen Raums, die durch den privaten Bereich entstehen © GRAU
Auf der Grundlage der Beobachtung der bestehenden Verhältnisse in Caudéran haben wir vier verschiedene Arten von Wohngefügen mit jeweils spezifischen Qualitäten identifiziert: das individuelle Gefüge mit Häusern und kleinen Gärten, das kollektive Gefüge mit grossen kollektiven Gebäuden und Parklandschaften, das hybride Gefüge entlang der Hauptverkehrsachse und das échoppe-Gefüge. Wir haben uns dann die folgende Frage gestellt: Wie kann sich jedes Gefüge vor dem Hintergrund des städtischen Wachstums weiterentwickeln und dabei seine bestehenden Qualitäten und seine DNA bewahren?
Das Hauptgefüge von Caudéran ist das individuelle Gefüge, das heute mehr Dichte aufnehmen, aber auch neue Möglichkeiten für Kollektivität bieten muss. Die Lebensstile ändern sich in den Aussenbezirken der Städte ebenso wie im Zentrum, und wir sehen unter anderem eine wachsende ältere Bevölkerung, die Unterstützungssysteme benötigt, und Haushalte von Alleinerziehenden, die nach weniger, aber flexibleren Räumen suchen. Um das Potenzial für Kollektivität zu schaffen, müssen wir verstehen und genau messen, wie nah wir einander kommen können, ohne unsere individuellen Qualitäten zu verlieren, und welche Rolle der Garten bei der Schaffung von Schwellen zwischen privat und öffentlich spielen kann.
Vier spezifische Wohn-Texturen © Stadt Bordeaux und GRAU
Radikalisierung der bestehenden Qualitäten der Wohn-Texturen © GRAU
Bei der Untersuchung von Wohntypologien mit spezifischem Bezug zu Gärten stiessen wir auf die Arbeit des amerikanischen Architekten Alfred Newman Beadle, der seit den 1950-er Jahren in Phoenix, Arizona, tätig war und dort mehrere dichtere, horizontale und preisgünstige Wohnbauprojekte errichtete: darunter die Three Fountain Apartments, die Boardwalk Apartments und eines der beiden einzigen Mehrfamilienhäuser in den Case Study Houses, die Triad Apartments.
Bei den Triad Apartments handelt es sich um einen einstöckigen Komplex, der aus drei Wohneinheiten besteht, die um einen Gemeinschaftsraum, eine Garage und eine Waschküche gruppiert sind. Die Einheiten sind so organisiert, dass das Wohnzimmer und die Küche durch eine grosse Glaswand auf eine gemeinsame Grünfläche blicken, während sich die hinteren Räume zu einem kleinen privaten Innenhof öffnen. The Boardwalk und Three Fountain wurden nach den gleichen Prinzipien gebaut, jedoch in grösserem Maßstab und in einer dichteren Umgebung.
Alle drei Projekte bieten Qualitäten, die es den Menschen ermöglichen, einander näher zu kommen und davon zu profitieren: Architektur und Garten bilden ein Ganzes, das Nähe ohne Promiskuität bietet, und das Raster wird hier nicht nur für strukturelle Zwecke verwendet, sondern um ein urbanes Lebensmodell zu organisieren. Statt einer Anhäufung von architektonischen Typologien bilden alle Einheiten zusammen ein kollektives Gefüge, in dem das Auto nicht mehr im Mittelpunkt steht. Diese physischen Strategien machen alle in einem individuellen Kontext Sinn. Wir nennen das ‚nahes Wohnen’. Wir erproben nun die Entwicklung solcher wohnungsnahen Strukturen in Bordeaux und konzentrieren uns dabei auf die Schaffung einer kollektiven Umgebung innerhalb eines individuellen Projekts.
Die Landschaft als Schwelle zwischen dem Privaten und dem Kollektiven in den Boardwalk Apartments © GRAU
Die Boardwalk Apartments, ein kollektives Umfeld © GRAU
Im Jahr 2017 hat die Metropole Bordeaux einen neuen Flächennutzungsplan eingeführt, in dem 56% der bereits urbanisierten Fläche der Metropole auf zweigeschossige Gebäude beschränkt sind. Dies ist eine ziemlich radikale politische Position, die etwas über die Metropolregion aussagt: Sie ist und bleibt eine horizontale Stadt, und wir müssen uns neue Wege vorstellen, um in ihr kollektiver zu leben.
Ausgehend von der Frage der Verdichtung berührt unser Projekt in Caudéran alle Aspekte der Gartenmetropole. Die Strategie ist in Ziele gegliedert, die alle darauf abzielen, die Qualitäten des Bestehenden zu erhöhen und die Beziehung zwischen den gebauten Formen und der Landschaft zu klären: an die Wohnstruktur angepasste Gebäudetypologien, die Entwicklung linearer öffentlicher Räume in den Strassen und die Intensivierung der bestehenden Dienstleistungszentren in der Stadt.
Die Prinzipien, die wir für Caudéran als Gartenmetropole entwickelt haben, gelten für einen großen Teil des Gebiets. Es handelt sich um einen Wandel in der Betrachtungsweise dieser Viertel, nicht als reine Wohngebiete, sondern als echte Stadtgebiete der Zukunft. Aber dieser Kulturwandel braucht Zeit. 2017 haben wir ein von der Stadt herausgegebenes Buch ‚Von Caudéran lernen’ veröffentlicht, in dem beschrieben wird, wie Caudéran als Prototyp für die Gartenmetropole dienen kann. Seit 2021 bin ich die offizielle beratende Architektin der Stadt Bordeaux, eine Position, die es uns ermöglicht, mit allen Akteuren der Stadt zu interagieren und die Kultur der Gartenmetropole langsam einzuführen.
Nahes Wohnen, 15 neue Wohnungen in der individuellen Struktur von Caudéran © GRAU
Die Gartenmetropole, eine Baukultur im Wandel © GRAU
Susanne Eliasson
Susanne Eliasson *1984 in Stockholm ist eine schwedisch-französische Architektin, Mitbegründerin und Partnerin des Studios GRAU in Paris, zusammen mit Anthony Jammes. Sie erhielt 2016 den ‚Young Planners Award’ des französischen Ministeriums für Wohnungsbau und nachhaltigen Lebensraum und steht seit 2018 auf der Liste der ‚100 führenden Köpfe, die die zukünftige Stadt erfinden’ des Institut Choiseul. Mit seiner Arbeit in ganz Frankreich und Europa bewegt sich GRAU im Spannungsfeld zwischen Architektur und Urbanismus. Seit 2010 arbeitet GRAU in und um Bordeaux und hat mehrere Projekte für die ‚Gartenmetropole’ entwickelt. Susanne Eliasson unterrichtet zudem Architektur an der Peter Behrens School of Arts in Düsseldorf.