Intaktes Ortsbild mit Steindächern, Castasegna © Aita Flury
4. Oktober 2021
Manuel Pestalozzi | Baukultur persönlich
Die Photovoltaik und das Ortsbild
Die Eindeckung von Schrägdächern hat einen wesentlichen Anteil am Ortsbild. Mit der aufgesetzten oder integrierten Photovoltaik drängt sich ein Störfaktor in dieses Bild. Nördlich der Landesgrenzen schlagen Fachleute Alarm.
Die potenzielle Bedrohung für intakte Ortsbilder nennt sich ”solare Baupflicht“. Das aktuelle Klimaschutzgesetz von Baden-Württemberg schreibt vor, dass beim Neubau von Nichtwohngebäuden Photovoltaikanlagen zur Stromerzeugung installiert werden müssen. Von den Photovoltaik-Pflichten werden Bauvorhaben erfasst, deren Anträge auf Baugenehmigung ab dem 1. Januar 2022 bei der zuständigen Behörde eingehen. Das Umweltministerium erarbeitet derzeit eine Rechtsverordnung, die die Bestimmungen der Photovoltaik-Pflichten mit näheren Regelungen ergänzt. Demnach soll ab 1. Mai 2022 die solare Baupflicht dann auch für Wohngebäude Anwendung finden. Diese Entwicklung macht manchen Sorgen.
Freiamt in Südbaden © Netze BW
Die Abbildung zeigt das Dorf Freiamt in Südbaden, in dem eine Netzintegration der volatilen, dezentralen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien getestet wurde.
In einem Artikel lassen die Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) Fachleute zu Wort kommen, die der solaren Baupflicht kritisch gegenüberstehen. Sie befürchten einen allgemeinen und alternativlosen Zwang - wo doch schon heute manche Ortsbilder unter den Photovoltaik-Nachrüstungen leiden. Markus Neppl, Professor für Stadtquartiersplanung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) spricht von „slapstickartigen Erscheinungsbildern“ und warnt vor einer „undifferenzierten Solarpflicht“.
Dort, wo Solarzellen die Gesamterscheinung eines Bauwerks, einer Stadt oder einer Landschaft beeinträchtigen, sollten sie unbedingt vermieden werden, meint auch Peter Stephan, Offenburger und Professor für Architekturtheorie an der Fachhochschule Potsdam. „Im historischen Kontext gehören sie sogar verboten,“ fügt er an. Auch Urban Knapp, Vorsitzender der Kreisgruppe Baden-Baden/Rastatt/Ortenaukreis des BDA, stört vor allem die undifferenzierte Gewichtung der Photovoltaik als „Lösung“ zur Abwendung einer Klimakatastrophe. „Wir müssen alternative Energien nutzen, aber eben nicht nur Solar“, fordert er. „Eine solch undifferenzierte Maßnahme wird den Stadtbildern und der Landschaft nichts Gutes tun. In Baden-Baden können wir das Weltkulturerbe dann gleich vergessen.“
Etzenrot im Albtal: Häusle, Solarzellen und Autos © Aita Flury
Schweizerische Hauseigentümerzeitung Nr. 17, 1. Oktober 2021 © Aita Flury
Manuel Pestalozzi
*1962 in Zürich, studierte Architektur an der ETH Zürich. Von 1997 bis 2013 war er Redaktor der Fachzeitschrift Architektur & Technik. 2013 gründete er die Einzelfirma Bau-Auslese Manuel Pestalozzi und berichtet seither für verschiedene Publikationen über Bauthemen. Der vorliegende Beitrag erschien im Magazin german-architects.com.