Der Kurort Baden um 1900. Die Postkarte zeigt im Vordergrund das Bädergebiet im Limmatknie; am rechten Bildrand sind die Fabrikhallen der Brown Boveri & Co. erkennbar © Postkarte Privatbesitz Andrea Schaer
30. Dezember 2021
Andrea Schaer, Sarah Wiederkehr | Baukultur persönlich
Eine lange Geschichte, Neubauten und frische Ideen
Im Spannungsfeld zwischen Neubauten, historischem Erbe, top-down-Planung und bottom-up-Initiativen erwacht das Bädergebiet von Baden (AG) aus dem Dornröschenschlaf.
Die Stadt Baden im Kanton Aargau verdankt ihren Namen den hier entspringenden Thermalquellen. Die Römer bauten als erste grosse Heilthermenanlagen. Aus dem antiken Erbe entstand im Mittelalter der während Jahrhunderten bedeutendste Badeort in Mitteleuropa. Nach einer letzten Blütephase in der Belle Epoque verlor Baden im 20. Jahrhundert als Kurort an Bedeutung. Der Wandel zum Industriestandort veränderte die Badener Stadtidentität. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts akzentuierte sich der wirtschaftliche Niedergang der Bäder und mündete um die Jahrtausendwende in die Schliessung mehrerer Hotels. Die Badeinfrastruktur verlotterte zusehends. Gleichzeitig verlor zumindest ein Teil der Bevölkerung und auch die Politik Badens den Bezug zum Ursprungsort ihrer Stadt.
Nachdem zahlreiche Projekte zur Erneuerung der Badener Bäder gescheitert waren, unternahmen ab der Jahrtausendwende die Stadt Baden und die Nachbargemeinden Ennetbaden und Obersiggenthal einen neuen Anlauf zur nachhaltigen Wiederbelebung des Bädergebiets. Während Ennetbaden vom Durchgangsverkehrt befreit und die Promenade entlang der Limmat saniert und aufgewertet wurde, trieb man in Baden die Planung für das Herzstück der Revitalisierung voran: den Bau einer neuen Therme durch eine private Trägerschaft. Weitere Neubauten und die Sanierung historischer Badehotels sollten eine bädernahe, aber dennoch stärker durchmischte und langfristig tragfähige Nutzungsstruktur schaffen. Mit der Eröffnung der neuen Therme von Mario Botta im November 2021 fanden die Planungs- und Bauarbeiten ihren vorläufigen Abschluss. Die Sanierung der historischen Hotels wird noch etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Die Badener Bäder Ende Oktober 2021 mit den Neubauten von Mario Botta. Links das neue Wohn- und Ärztehaus, prominent das unmittelbar vor der Eröffnung stehende neue Thermalbad © Samuel Mühleisen
Parallel zum Planungs- und Realisierungsprozess fanden ab 2009 umfangreiche archäologische Ausgrabungen und Forschungen in und zu den Badener Bädern statt. Dabei gelangte die Geschichte des Orts und deren historische Zeugen vermehrt ins Licht der Öffentlichkeit. Gleichzeitig erfolgte in Baden eine angeregte, teils gar hitzige Auseinandersetzung mit den Bädern und deren Zukunft: Die Geister schieden sich an der Architektur und dem zu erwartenden Verkehrsaufkommen. Kritische Stimmen hinterfragten die Dimension der Neubauten und bemängelten die fehlende Einfügung in die bauliche und landschaftliche Umgebung. Auch wurde die Frage der öffentlichen und unentgeltlichen Zugänglichkeit und Thermalwassers aufgeworfen.
Wie sich zeigen sollte, wirkten die verstärkte Konfrontation mit der Geschichte und dem Erbe der Bäder und der Stadt und die Diskussion um architektonische und städtebauliche Aspekte komplementär. Die archäologischen Funde, das sich mehrende Wissen und die öffentliche und mediale Präsenz des Themas stärkten das historische Bewusstsein und führten zu einer breiten Diskussion um den Wert des Bäderkulturerbes.
Aus dieser Konstellation entstanden im Laufe der Jahre verschiedene private und öffentliche Initiativen und Projekte, welche das Bädererbe aufnehmen und daraus Neues entstehen lassen, wie beispielsweise die Pop-up-Bäder und Aktivitäten des Vereins ‚Bagni Poplari’. Im Diskurs der verschiedenen Stakeholder wuchs die Erkenntnis darüber, welches gesellschaftliche und wirtschaftliche Potential in der Vermittlung und Vermarktung der 2000-jährigen Bädertradition liegt. Zudem wurde erkannt, dass die Bauvorhaben die Chance boten, einzelne Quellen ebenso wie historische Bäder zugänglich und erlebbar zu machen.
Der Verein Bagni Popolari stellte seit 2017 einen öffentlich zugänglichen Thermalbrunnen und Badegelegenheiten auf. Während der Bauzeit der neuen Therme wurden die mobilen Becken mehrmals rund um die Baustelle verschoben © Bagni Popolari/Nicolas Petit
Mit den fest installierten „Heissen Brunnen“ in Baden (Bild) und Ennetbaden erhält die Tradition der unentgeltlichen öffentlichen Bäder unter freiem Himmel dank dem Engagement des Vereins Bagni Popolari wieder eine Heimstätte © Nicolas Petit
2017 wurde der ‚Bäderverein Baden’ gegründet, welcher als public-private-partnership die öffentliche Hand und Private aus den Bereichen Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft vereint. Ziel des Bädervereins ist es, die kulturelle Bedeutung der Thermen von Baden bekannt zu machen, die Zugänglichkeit zum kulturellen Erbe zu fördern und die Identifikation der Bevölkerung mit den Bädern zu stärken. Als die wichtigsten Player vereinende Körperschaft nimmt der Verein eine zentrale Rolle als Austauschplattform unter den verschiedenen Akteuren in den Bädern und als Kontaktstelle zu Dritten ein.
Badener Limmatpromenade mit dem neuen Quellhaus der Limmatquelle (Architekt Christoph Lüber) und Blick zum bereits 2015/16 sanierten Badehotel „Schwanen“ in Ennetbaden. Beiderseits der Limmat wurden die Flussufer im Bädergebiet aufgewertet und verkehrsberuhigte Begegnungsräume geschaffen © Samuel Mühleisen
Der zentrale Kurplatz wurde 2020/21 neugestaltet. Der Grosse Heisse Stein, ein massiver Gneisblock, der Badens Hauptquelle abdeckt, wurde nach historischem Vorbild angehoben, und bildet neu das Zentrum des Platzes. Hier das Abheben der Steinplatte Mitte Juni 2021 © Andrea Schaer
Im Nachhinein könnte sich die lange Planungs- und Leidensdauer auf dem Weg zu den neuen Bädern als Glücksfall erweisen: Sie bot nicht nur die Chance zur vertieften Auseinandersetzung einer breiten Bevölkerung mit den grossen privaten und öffentlichen Bauvorhaben, sondern auch mit dem eigentlichen Ursprung und der Identität ihrer Stadt. Durch das zuerst Neben-, dann Miteinander von ‚top-down’-Planung, staatlicher Kulturpflege, ‚grassroot’-Initiativen und persönlichen Engagements entstand eine Basis für neue Aktivitäten und Kooperationen. Sie sind das Fundament für einen niederschwelligen und kontinuierlichen Dialog, sowie eine wiedererwachte Wertschätzung der Badener Bäder als identitätsstiftender und lebendiger Stadtteil und Lebensraum.
Es ist zu hoffen, dass aus dem Zusammenspiel von historischem Erbe und neuen Impulsen eine nachhaltige Entwicklung des Bädergebiets erwächst - und die aktuelle Aufbruchstimmung mehr ist, als im wahrsten Sinne der Worte, nur ein paar Tropfen Thermalwasser auf den Heissen Stein!
Unter folgenden Weblinks finden sich weitere Beiträge zum Thema:
https://www.baederverein.ch/
https://bagnopopolare.ch/
https://www.baden.ch/de/stadtb...
https://www.srf.ch/audio/konte...
https://www.srf.ch/play/tv/ein...
Andrea Schaer
Sarah Wiederkehr
Andrea Schaer lic. Phil, *1971, ist freischaffende Archäologin, Kulturerbemanagerin und Autorin. Sie ist seit 2005 in die Arbeiten zur Revitalisierung der Badener Bäder involviert und zeichnet zunächst als Mitarbeiterin, später im Mandat der Kantonsarchäologie Aargau für die archäologischen und kulturgeschichtlichen Forschungen verantwortlich. Als Vorstandsmitglied der Gesellschaft Archäologie Schweiz verantwortet sie deren politische Arbeit und befasst sich intensiv mit verschiedenen Aspekten und Handlungsfeldern von Baukultur.
www.archaeokontor.ch
Sarah Wiederkehr, Master of Arts UZH in Wirtschaftswissenschaften,
*1986, ist Mitglied im Einwohnerrat der Stadt Baden (Die Mitte) und Präsidentin ihrer Fraktion. Sie engagiert sich für den Erhalt und die Vermittlung des kulturhistorischen Erbes im Bäderquartier unter der Devise ‚Zukunft braucht Herkunft’. Sie arbeitet als Senior Product Manager im Digital Business beim Migros-Genossenschafts-Bund und beschäftigt sich dort mit neuen, datengetriebenen Geschäftsmodellen.