Die Konflikte auf der Opernhaus-Grossparzelle sind bei der Anlieferung besonders augenfällig © Bild Maria-Theresa Lampe
22. Februar 2024
André Bideau | Baukultur persönlich
Eine neue Auslegeordnung für das Opernhaus Zürich?
Die Abrisswelle in Schweizer Städten, allen voran Zürich, sorgt für Kontroversen. Nicht nur Wohnsiedlungen der Zwischen- und Nachkriegszeit sind unter Druck, sondern auch öffentliche Bauten der Postmoderne, wie eine im Rahmen des MAS GTA entstandene Masterarbeit aufzeigt.
Der Fleischkäse gehört nicht zu den öffentlichen Gebäuden der Postmoderne, die auf einen Sympathiebonus zählen können. Manche erinnern sich noch an die Zürcher Opernhauskrawalle, die sich 1980 an der Höhe des Baukredits entzündeten. Den wenig schmeichelhaften Namen erhielt das von Claude Paillard entworfene Betriebsgebäude wegen der fladenartigen Volumetrie und Farbe. Seine glatten Fassaden aus eingefärbtem Sichtbeton bilden eine Symbiose mit dem Historismus der Wiener Theaterspezialisten Helmer und Fellner. Auf dieser hypertrophen Grossparzelle überlagern sich seit 1985 sichtbare und unsichtbare Dispositive, um das klassische ‘théâtre à l’italienne’ auf höchstem Niveau am Leben zu halten.
Verbesserte Betriebsabläufe, weniger Enge: Das ungeliebte Betriebsgebäude aus den achtziger Jahren soll nach 2030 Platz für einen höheren Ersatzneubau machen, die Fundamente sollen wiederverwendet werden © Bild Maria-Theresa Lampe
Das Bautenkonglomerat am Zürichsee ist für die betrieblichen Abläufe aber schon lange zu eng. Seine aussenräumlichen Defizite machten sich nach der Eröffnung des vorgelagerten Sechseläutenplatzes vor einem Jahrzehnt verstärkt bemerkbar. Gerade hier übernimmt Paillards Betriebsgebäude eine Scharnierrolle, wird mit seinen leblosen Arkaden und einem meist leeren Restaurant in seiner Beletage aber eher als das abweisende Sinnbild einer elitären Kultur empfunden. Dies war das Fazit von Umfragen, die das Opernhaus mit Vertretern der Zürcher Bevölkerung geführt hatte. Im Januar gelangte nun die Nachricht an die Öffentlichkeit, dass man den Abriss des Fleischkäses vorsieht, um der gravierenden Platznot im Opernhaus zu begegnen.
Seit 2014 verbindet der Sechseläutenplatz Bellevue und Opernhaus, früher durch eine unbegehbare Wiese und einen Parkplatz voneinander getrennt. Der überaus grosse Zuspruch dieses Platzraums hat auch die Ansprüche an den historischen Kulturkomplex verändert © Bild Maria-Theresa Lampe
Der Mozartplatz: Eine üblicherweise menschenleere begehbare Dachfläche zwischen Altbau und Erweiterungsbau © Bild Maria-Theresa Lampe
Für nächstes Jahr ist ein Projektwettbewerb vorgesehen, bei dem man den Wurf nachholen möchte, der bei der Erneuerung des Zürcher Kongresshauses auf Ablehnung stiess. Künftig soll die Seefront um eine ‘architektonische Perle' bereichert werden, so Sabine Turner, Direktorin des Opernhaus-Marketings. Im Sinn eines baukulturellen Zeugnisses hat der Fleischkäse also keine Anwälte - ganz anders als das eben sanierte St. Galler Stadttheater aus den sechziger Jahren. Auch dieser Sichtbetonbau stammt von Claude Paillard.
Beim Opernhaus Zürich gelangen die Ansprüche und Projektionen, die sich heute auf städtische Öffentlichkeit richten, auf paradigmatische Weise zum Ausdruck. Dies war auch das Thema einer Masterarbeit, die kürzlich an der ETH Zürich im MAS für Geschichte und Theorie der Architektur eingereicht wurde. Maria-Theresa Lampe weist anhand des Zürcher Opernhauses auf divergierende Interesselagen und Repräsentationsbedürfnisse hin. In einem sich wandelnden urbanen Raum beschreibt sie, wie unvereinbare Öffentlichkeiten zuerst erkannt, dann verhandelt werden müssen. Obwohl sie auf eine Handlungsempfehlung verzichtet und die Weichen inzwischen auf Abbruch gestellt wurden, vermittelt Maria-Theresa Lampe wertvolle Einblicke.
Blick auf das Proszenium und den in den Achtziger Jahren ausgekernten historischen Bühnenturm © Bild Maria-Theresa Lampe
Mit ihrem Vorgehen steht sie ganz in der Tradition des MAS GTA. Seit vielen Jahren bringen Studierende aus der Praxis oder aus einer früheren akademischen Tätigkeit Fragestellungen in das Studium mit. Sie lernen im Lauf des zweijährigen Curriculums einerseits, den Forschungsstand ihres Themas zu recherchieren und zusammenzufassen; andererseits entwickeln sie einen methodologischen Zugang, um innerhalb des von ihnen gewählten Forschungsfeldes ihre eigene Position aufzubauen. Somit geht es nicht primär um Problemlösung, sondern darum, gängige Begriffe, Diskurse und Argumentationsmuster kritisch zu hinterfragen. Im Fall Opernhaus Zürich konnten die Wechselwirkungen zwischen hoch subventionierten Institutionen, städtischer Öffentlichkeit, und architektonischer Gestalt begreifbar gemacht werden. Stark auch auf fotografische Analyse setzend, veranschaulicht diese Abschlussarbeit letztlich den Verwertungsdruck, unter dem das baukulturelle Erbe heute steht.
Wichtige Termine:
29. Februar 2024: Informationsveranstaltung (online) - Anmeldung via E-Mail an: mas@gta.arch.ethz.ch
1. - 30. April 2024: Anmeldungsfenster für den Zyklus 2024 - 2026
André Bideau
André Bideau ist promovierter Architekturhistoriker, Publizist und Kurator und leitet zusammen mit Dr. Susanne Schindler den MAS GTA an der ETH Zürich. Zudem lehrt er an der Accademia di architettura Mendrisio und ist Mitbegründer des Zentrums Architektur Zürich. Im Winter 2023 wurde dort die auf einem Forschungssemester des MAS GTA basierende Ausstellung «Verdichtung oder Verdrängung – wenn Neubauten ersetzen» gezeigt.