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Ersatzneubau-Geschichte: lokale und globale tabula rasa

Diskussion "Ersatzneubau" von Studierenden im MAS GTA 2022 © Carolina Gomes

23. Februar 2023
Susanne Schindler | Baukultur persönlich

Ersatzneubau-Geschichte: lokale und globale tabula rasa

Wie lässt sich eine aktuelle Herausforderung sowohl geschichtlich, baukulturell als auch im internationalen Kontext diskutieren? Ein Ausstellungsbeitrag des MAS GTA liefert Ansätze.

Der Abriss und Neubau von Wohnraum, wie sie seit einigen Jahren die Stadt Zürich grundlegend baulich und sozial verändern, sind nichts Neues. Doch mit welchen Argumenten werden und wurden solch massive Umbaumassnahmen an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten legitimiert? Wie durchdringen sich dabei gestalterische, politische und wirtschaftliche Interessen?

Angesichts der zunehmend auch kritisch diskutierten Praxis des «Ersatzneubaus» in Zürich widmeten sich im Frühlingssemester 2022 Studierende des Master of Advanced Studies in Geschichte und Theorie der Architektur MAS ETH GTA unter Leitung von Susanne Schindler, André Bideau und Marie-Anne Lerjen diesen Fragen. Zweierteams wählten Fallstudien aus Europa, Nordamerika und Asien aus, um ihnen in ihrer Spezifik nachzugehen. Die Ausgangsthese war, dass sich durch den Blick in die Geschichte und über den Zürcher Tellerrand hinaus Begründungs- und Handlungsmuster zeigen würden, die zu einem nuancierten Verständnis der aktuellen Ersatzneubau-Praxis beitragen.

In der Tat, wie die Fallbeispiele aus dem Glasgow der 1950er Jahre oder dem Beijing der 1990er zeigen: Die aktuelle Erneuerungswelle bezieht sich wie auch ihre Vorläufer auf rationale Argumente, auch wenn es oft nicht um Ver-, sondern Entdichtung ging. Waren es zu Beginn des 20. Jahrhunderts Versprechen wie «Hygiene», «Tugend» und «Bezahlbarkeit», welche die tabula rasa als Sanierungspolitik legitimierten, sind es heute Schlagworte wie «Nachhaltigkeit», «Qualität» oder «Urbanität», die den grossflächigen Abriss und Neubau ermöglichen. Was aber in einem Moment naheliegend und vernünftig erscheinen mag, ist oft innerhalb weniger Jahrzehnte kaum mehr nachvollziehbar.

Die Ergebnisse der Untersuchung wurden Teil der gegenwärtig am ZAZ BELLERIVE Zentrum für Architektur Zürich gezeigten Ausstellung «Verdichtung oder Verdrängung? Wenn Neubauten ersetzen». Entwickelt wurde die Gesamtausstellung mit dem MAS in Housing, einem weiteren Weiterbildungsprorgamm am Departement Architektur der ETH Zürich; der Fokus dieser Gruppe lag auf vier geplanten Zürcher Abrissprojekten aus der Perspektive der Bewohner:innen und Beteiligten. Das Nebeneinander der Erzählungen, inszeniert von Antonio Scarponi, zeigt erstaunliche Ähnlichkeiten, aber auch frappierende Unterschiede in den politischen und wirtschaftlichen Legitimationsmustern und in ihrer räumlichen und gestalterischen Ausprägung.

Ersatzneubau-Geschichte: lokale und globale tabula rasa

Ausstellung "Verdichtung oder Verdrängung? - Wenn Neubauten ersetzen" im ZAZ © Maria-Theresa Lampe

Ersatzneubau-Geschichte: lokale und globale tabula rasa

Ausstellung "Verdichtung oder Verdrängung? - Wenn Neubauten ersetzen" im ZAZ © Maria-Theresa Lampe

Die Ausstellung ist Ergebnis der kollaborativen Forschungsarbeit am MAS GTA, in der zu gleichen Teilen das Wissen von Dozierenden und Studierenden, Geschichte, Theorie und Praxis einfliessen. Einst «Nachdiplomstudium» genannt, ermöglicht das heutige «MAS» den Beteiligten auf diese Weise, gezielt baukulturellen Fragen nachzugehen und über komplexe architektonische, wirtschaftliche und politische Zusammenhänge nachzudenken und Erkenntnisse für eine breitere Öffentlichkeit aufzubereiten. Die bis zum 16. April am ZAZ gezeigte Ausstellung ist ein Beispiel dafür, wie dieser Ansatz aussehen kann.

Ausstellung "Verdichtung oder Verdrängung - Wenn Neubauten ersetzen" - vom 26.01.2023 bis 16.04.2023

Zur Informationsveranstaltung am 2. März 2023 (online) und zur Anmeldung zum MAS GTA

Susanne Schindler

Susanne Schindler ist promovierte Architekturhistorikerin und seit 2019 Co-Leiterin des MAS GTA an der ETH Zürich. Sie studierte an der Columbia University in New York Geschichte und an der Hochschule der Künste Berlin Architektur. Der Fokus ihrer Forschung und Lehre liegt auf den Überschneidungen zwischen Architektur, Finanzierung und Regulation im Wohnungs- und Städtebau.
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