Wichtig für die Baukultur in Glarus wird der Umgang mit dem Bestand, insbesondere den Industriebauten, sein © Kanton Glarus, Samuel Trümpy Photography
26. Juni 2024
Stiftung Baukultur Schweiz | Baukultur persönlich
Erster Pilotworkshop «Baukultur im Kanton»
Im Rahmen des Workshops diskutierten Beteiligte aus Politik, Planung und Wirtschaft darüber, was eine hohe Baukultur dem Kanton Glarus bringt und wie sie umgesetzt werden kann. Die von der Stiftung Baukultur Schweiz und dem Kanton Glarus organisierte Veranstaltung am 22. Mai 2024 war zugleich der erste «Runde Tisch Baukultur» des Kanton Glarus.
Die Kantonsarchitektin Andrea Wittwer Joss eröffnet den Workshop © Caroline Tanner, Stiftung Baukultur Schweiz
Nach einer Einleitung von Andrea Wittwer Joss, Kantonsarchitektin von Glarus, eröffneten Lukas Bühlmann und Christian Schnieper von der Stiftung Baukultur Schweiz den Workshop mit einem Referat über Baukultur. Aus Sicht der Raumplanung zeige sich Baukultur primär darin, ob eine hohe Siedlungsqualität entsteht: «Baukultur ist, wo man sich wohlfühlt», so Bühlmann. Er betonte, wie wichtig der Faktor Zeit für das Gelingen hoher Baukultur ist. Im Planungsprozess, der sich über eine lange Zeit erstrecken kann, sei es entscheidend, die richtigen Fragen zur richtigen Zeit zu stellen.
Um Einsprachen und Beschwerden gegen Bauvorhaben am Ende der Planungsphase zu begegnen, gelte es, die Bevölkerung aktiv und frühzeitig in den Planungsprozess einzubeziehen. Da der Gestaltungsspielraum mit fortschreitender Planung abnimmt, empfiehlt Bühlmann, die Potentiale und Schwächen des Ortes bis auf die Quartiersebene möglichst früh zu eruieren und die Weichen richtig zu stellen. Besonders wichtig sei es auch, dass die Gemeinden klare räumliche Entwicklungsvorstellungen haben. Als vorbildlich bezeichnete Bühlmann in diesem Zusammenhang die «Dorfbilder» der Gemeinde Glarus Nord. Einer hohen Baukultur dienlich seien aber auch innovative Instrumente und Planungsgrundlagen wie die Pflichtenhefte der Stadt Delémont und die Baumemoranden, die einzelne Gemeinden im Kanton Graubünden erarbeitet haben.
Christian Schnieper, ebenfalls Referent seitens der Stiftung Baukultur Schweiz, unterstrich die Bedeutung baukultureller Instrumente, die oft vor der eigentlichen Planung ansetzen. Am Beispiel der Stadt Zug erläuterte er, wie seitens der Behörden das Fundament für eine hohe Baukultur gelegt werden kann. Dort versuchte man zuerst mittels mehrschichtiger Bevölkerungsbeteiligungen, eine «DNA» der in der Stadt lebenden Gesellschaft zu erstellen. Dabei wurden die sozialen Strukturen sowie auch die Ansprüche, Ideen und Erwartungen an die künftige Stadt formuliert. Erst danach wurden die gestalterischen und funktionellen Grundpfeiler des Städtebaus sowie der Verkehrs- und Stadtplanung im Rahmen spezifisch detaillierter Konzepte, Gestaltungshandbücher und Handlungsempfehlungen ausgearbeitet. Die Erarbeitung dieser Gestaltungsinstrumente erforderte laut Schnieper einen intensiven Dialog zwischen Bevölkerung, Fachpersonen und Politik, welcher zu einem gegenseitigen Verständnis für die hohe Komplexität und Relevanz eines qualitativen Stadtraums führte. Der Dialog förderte die Anwendung der Gestaltungsgrundlagen in der aktuellen Praxis.
Lukas Bühlmann und Christian Schnieper, Stiftungsräte der Stiftung Baukultur Schweiz, stellen Möglichkeiten und Potentiale für eine hohe Baukultur im Kanton vor © Caroline Tanner, Stiftung Baukultur Schweiz
Das letzte Referat vor der Diskussionsrunde befasste sich mit dem finanziellen Wert der Baukultur. Die Erkenntnisse der Firma Wüest Partner AG legten dar, wie sich die wirtschaftliche Lage im Kanton Glarus konkret in Zahlen zeigt. Die quantitativen Auswertungen von Umfragen und Erhebungen durch Wüest Partner AG gaben einen Überblick über den Baubestand und seine Nutzung. Besonders hoch zeigte sich der Bestand an Einfamilienhäusern. Auch fiel ins Auge, dass im Kanton Glarus im Verhältnis zur restlichen Schweiz sehr viel umgebaut wird. Besonders in Industriearealen bestehen grosse bauliche Reserven und Potentiale. Schliesslich legte der Referent überzeugend dar, dass eine hohe Baukultur auch für die Immobilienwirtschaft sinnvoll ist. Denn da hohe Baukultur auf vielen Ebenen Mehrwert generiere, kann dieser letzten Endes die Mehrkosten übersteigen. Hohe Baukultur kann sich demnach positiv auf den Marktwert einer Immobilie ausüben.
Die Beteiligten diskutierten im Anschluss in vier Gruppen über die konkrete Zukunft der Baukultur im Kanton Glarus. Ein zentrales Thema in den Diskussionen war die Identität: Die bestehende Bausubstanz in Glarus bietet bereits eine hohe architektonische Qualität mit einer kulturellen Geschichte, die viele nicht kennen. Für die Zukunft wird also für Glarus entscheidend sein, wie mit dem Bestand umgegangen wird. Aus dem Workshop ging hervor, dass insbesondere die bestehenden Industriebauten hierbei eine grosse Rolle spielen werden. Die Sensibilisierung der Bevölkerung wurde als eines der wichtigsten Kriterien für eine hohe Baukultur in Glarus identifiziert. Die Qualitäten der Baukultur gilt es also, bekannt zu machen. Auch die Qualität der öffentlichen Räume soll gefördert werden, was oft ein Denken über bestehende Planungs- und Parzellengrenzen hinaus erfordert.
Die regen Diskussionen im Workshop führten zu wichtigen Erkenntnissen über das Leben und Bauen im Kanton Glarus. Dabei haben sich mehrere Kriterien und Planungsinstrumente herauskristallisiert, die für den Kanton in Zukunft besonders wichtig sind. Der Kanton Glarus hat damit ein gutes Fundament, um den Weg in die hohe Baukultur beschreiten zu können.
Caroline Tanner
Caroline Tanner ist Architektin, Autorin und Philosophin. Sie studierte Architektur an der ETH Zürich und arbeitete mehrere Jahre als Architekturjournalistin bei den NZZ Fachmedien. An der ETH schreibt sie derzeit eine Abschlussarbeit in «Geschichte und Philosophie des Wissens» mit Schwerpunkt Architekturphilosophie. Seit März 2024 unterstützt sie die Stiftung Baukultur Schweiz in der Kommunikation.
Stiftung Baukultur Schweiz
Die Stiftung Baukultur Schweiz ist eine nationale, neutrale und politisch unabhängige Stiftung. Im Frühjahr 2020 gegründet, bringt sie Akteure zusammen, schafft Plattformen, initiiert Prozesse und macht sich stark für jene, welche die Grundlagen der Baukultur inhaltlich ausarbeiten oder diese in der Praxis umsetzen.