Superstudio 1969/Anlobung Gestaltungsbeirat Salzburg 2015-2018 © Privatfoto Marianne Burkhalter/Stadt Salzburg
10. November 2021
Marianne Burkhalter | Feuilleton
Gestaltungsbeirat Salzburg
Baukultur entsteht nicht durch eine Flut von Gutachten, sondern es braucht Kommissionen, die sich immer wieder auf die veränderten Situationen einlassen und sich an Visionen messen. In diesem Sinne braucht es den Gestaltungsbeirat als Vermittler zwischen den Anliegen der Profession, den Investoren und der Öffentlichkeit.
Thema der Tagung ist die Frage nach der Beziehung der beiden Pole ‚Baumeister und Baukollegium’, nämlich: Wie verändert sich die Stadt durch diese beiden Akteure? Was sind Ihre Visionen für die nächsten Generationen? Der Spagat zwischen den baulichen Veränderungen einer erfolgreichen modernen, prosperierenden Stadt einerseits und die Bewahrung der Stadt und ihrem Narrativ als einen emotionalen Wert andererseits, ist das zentrale Thema. Die Reibung zwischen Bestand und Neubau, welche die Stadt interessant und lebenswert macht, ist die Herausforderung der Zukunft. Dabei geht es nicht nur um die unmittelbar sichtbaren, baulichen Veränderungen durch Neubauten und erweiterte Infrastrukturen, sondern um die Stadt als Ort einer offenen Gesellschaft, die sich immer wieder neu erfindet. Die Dynamik ist abhängig von der Diversität der verschiedenen Kulturen und ihren Lebensweisen. Ich nenne dies die ‚subversive Stadt’, die oft im Verborgenen entsteht, - die ‚gefühlte’ Stadt, die Empfindungen für Veränderungen auslöst und deren visionäres Denken über den Common Sense hinausgeht.
Monumento continuo 1970, città 2000t © Superstudio
Ich hatte das Glück 1969 die erste Mitarbeiterin des Superstudios in Florenz zu sein und Einblick in diese Avantgarde Szene haben konnte. Das Interesse an Theorie, die nicht nur auf Architektur beschränkt war, sondern auch Kulturantropologie miteinschloss, hatte einen dominanten Platz im Denken der Architekt*innen. In Ihrem visionären Projekt ‚monumento continuo’ (1970) zeichneten sie eine Welt, die einerseits aus dem Bewusstsein von der Unzulänglichkeit der Wirklichkeit heraus entworfen war und andererseits durch die Überzeugung motiviert war, sich mit den Gegebenheiten nicht abfinden zu wollen.
Die beiden Abbildungen am Anfang dieses Textes zeigen die wilden Jahre der Architekten und die eher konventionelle Anlobung des Gestaltungbeirats beim Stadtpräsidenten in Salzburg. Avantgardistische Visionen einerseits und der Gang durch die Institutionen im Gestaltungsrat andererseits, sind für mich heute kein Widerspruch. Beide verlangen einen offenen Blick nach vorne und die Fähigkeit Bestehendes zu unterlaufen.
Gründung des Gestaltungsbeirates 1983
Am 14.11.1983 wurde der Gestaltungsbeirat als erstes international und nationales Fachgremium der Stadt Salzburg zur externen Planungsbegutachtung – inzwischen mit Rechtsstatus - im Raumordnungsgesetz konstituiert. Der erste Vorsitzende war Wilhelm Holzbauer, mit im Gremium sassen die Architekten Gino Valle Udine, Gerhard Garstenauer Salzburg, und Friedrich Achleitner Wien. Später folgten Luigi Snozzi, Adolfo Natalini Superstudio, Adolf Krischanitz, Otto Steidl, Annette Gigon, Marie-Claude Bétrix, Flora Ruchat-Roncati, Julia Bolles und Nathalie de Vries. Zu meiner Zeit bestand der Gestaltungsbeirat aus Anna Dentzlhofer neu als Landschaftsarchitektin Linz, Bernardo Bader Vorarlberg, Walter Angonese Italien, Ernst Beneder Wien und Arno Brandlhuber Berlin.
Heizkraftwerk an der Salzach 2002, Bétrix Consolascio Architekten © Margherita Spiluttini
Zwei Beispiele
1. Das Heizkraftwerk an der Salzach 1995-2002, eine Provokation
Das Heizkraftwerk an der Salzach der Schweizer Architekten Marie Claude Bétrix und Eraldo Consolascio, ein Projekt direkt in der Pufferzone des UNESCO Welterbes mit Blick auf den Mönchsberg, gilt als Musterbeispiel moderner Industriearchitektur im Umgang mit den Erfordernissen des Stadtbildschutzes. Der Entwurf wurde vom Gestaltungsbeirat genehmigt. Der monolithische Baukörper und der 70 Meter hohe Turm war vielen Salzburgern ein Dorn im Auge, ein Schandfleck inmitten der Mozartstadt. 2002 forderten die FPÖ und ÖVP im Hinblick auf ein Gestaltungchaos à la Heizkraftwerk die Abschaffung des ‚Verunstaltungsbeirats’, wie sie ihn nannten. Die Initiativen fanden aber im Gemeinderat und Stadtsenat keine Mehrheiten. Als dann der Bau mit dem Landeshauptpreis 2002 gegen den Strom der öffentlichen Meinung ausgezeichnet wurde, beruhigten sich die erhitzten Gemüter allmählich.
Wohnhaussiedlung ‚Kleinamerika’ - ein Zeuge aus der Besatzungszeit und seine Sanierung 2020 © Hohensinn Architektur
Neuer Holzturm in der Wohnhaussiedlung ‚Kleinamerika’ © GKS/Glanbogen
2. Wohnhaussiedlung ‚Kleinamerika’ - ein Zeitzeuge aus der Besatzungszeit
Ohne die Geschichte des Ortes zu zerstören, entwickeln die Architekten Hohensinn aus Graz eine massvolle Nachverdichtung und energetische Sanierung der Zeilenbauten mit neuer Lebensqualität - ein erfolgreiches Beispiel von interaktiver Zusammenarbeit zwischen Gestaltungsbeirat, Architekten und Investoren. In die radial angeordneten Zeilenstruktur wird in jedem zweiten Feld als Abschluss, ein neuer Holzturm platziert, der zur hinteren Zeilenbebauung vermittelt. Dadurch entstehen aus der undifferenzierten, radialen Reihung zwei U - förmige Hofstrukturen als neue nachbarschaftliche Einheiten und gleichzeitig eine klare Erkennbarkeit von alt und neu. Geschichte wird nicht zum moralisierenden Fetisch, sondern ist die Grundlage zum Weiterbauen und Weiterdenken.
Fazit
Visionen entstehen nicht indem man Gutachten schreibt und die Investoren zurechtstutzt. Vielmehr braucht es Kommissionen mit Selbstkritik und Biss, die gewillt sind, sich immer wieder auf die veränderten Situationen neu einzulassen und sich auch an scheinbar, nicht einlösbaren, kritischen Visionen wie jene des Superstudio zu messen.
Marianne Burkhalter
Marianne Burkhalter *1947 in Thalwil hat als Architektin in Florenz Superstudio), New York und Los Angeles (Studio Works) gearbeitet und war Auditorin an der University of Princeton. Sie hat am SCI-ARC in Los Angeles und an der EPF Lausanne unterrichtet. Von 2008 bis 2016 hatte sie zusammen mit Christian Sumi eine ordentliche Professur an der Accademia di Architettura Mendrisio AAM. 1984 Gründung des Büros burkhalter sumi architekten; ab 2021 eigenes Atelier zusammen mit Christian Sumi https://atelierburkhaltersumi.ch. 2014 und 2018 Teilnahme an der Biennale in Venedig. Seit 2022 Mitglied der Akademie der Künste Berlin.