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Kleinwohnungen im Licht der Pandemie - eine Standortbestimmung

‚Performatives Haus’ an der Stampfenbachstrasse 131 in Zürich, EMI Architekten Zürich, Bauherrin moyreal immobilien ag © moyreal immobilien ag

15. März 2022
Valentin Müller | Baukultur persönlich

Kleinwohnungen im Licht der Pandemie - eine Standortbestimmung

Die Pandemie hat zu Veränderungen in der Wohnungsnachfrage geführt. Wohnungen an zentralen Lagen mit einem oder zwei Zimmern werden in der Schweiz weniger nachgefragt als noch im Februar 2020. Zeit für eine Standortbestimmung.

Im Vergleich zum Gewerbe-, Büro- und Verkaufsflächenmarkt ist der Wohnflächenmarkt mit wenig Verwerfungen durch die Pandemie gekommen. Wohnflächen waren nicht von Lockdowns betroffen, sodass auch Forderungen nach Mietzinsreduktionen ausblieben - und anders als bei Büroflächen müssen sich Wohnungen auch bei einem erhöhten Homeoffice-Anteil nicht grundsätzlich neu erfinden.

Trotzdem hat die Pandemie auch im Wohnflächennmarkt ihre Spuren hinterlassen. So wurde speziell in den Grossstädten eine Abwanderung von Einwohnern beobachtet. Die Wegzüger fanden ihr neues Zuhause häufig in der Agglomeration, in Agglomerationsgemeinden oder gar in Tourismusstandorten. Die Vermutung liegt nahe, dass es durch den erhöhten Anteil von Homeoffice zu einer Entkoppelung von Arbeits- und Wohnort kam, sodass peripherere Lagen mit tieferen Mietkosten und erschwinglicheren Eigentumspreisen an Attraktivität gewonnen haben. Die durch Corona verursachte Stadtflucht vermochte zu erstaunen – speziell da gerade unsere Grossstädte als Orte mit hoher Anziehungskraft und Wohnflächennachfrage gelten.

Kleinwohnungen im Licht der Pandemie - eine Standortbestimmung

Hawa Student Award 2020, Microliving-Projekt für das Areal des Fernbusbahnhofs in Zürich, Beitrag von Nathalie Birkhauser und Roman Venzin © Hawa Sliding Solutions

Kleinwohnungen im Licht der Pandemie - eine Standortbestimmung

Hawa Sliding Solutions führt seit 2010 den Student Award durch, z.B. zum Thema ‚Das wandelbare Haus’ oder ‚Zuhause auf Zeit’. 2020 wurden Lösungen zum Thema ‚Alleine zusammen wohnen’ gesucht © Hawa Sliding Solutions

Nebst den Veränderungen in der Standortwahl zeigen Nachfragedaten aber auch, dass seit Corona grössere Wohnungen und Wohnungen mit privaten Aussenräumen im Fokus der Wohnungssuchenden stehen. Nachfrageverlierer waren hingegen Kleinwohnungen bis maximal 2.5 Zimmer.

Die neuen Nachfragetendenzen werfen nun die Frage auf, ob aufgrund der Pandemie ein bis anhin bei Stadtplanern, Projektentwicklern und Nutzern gleichermassen beliebter Wohnungstypus ausgedient hat: die Kleinwohnung in der Stadt. Denn gerade dieser Typus ist sowohl von der Stadtflucht negativ betroffen wie von der aktuellen Tendenz nach grösseren Wohnungen.

Zur Abschätzung der zukünftigen Attraktivität eines Wohnungstypus’ können Megatrends herangezogen werden, also übergeordnete, globale Entwicklungen, die bereits über längere Zeit beobachtbar sind und die aktuelle Pandemiephase überdauern werden. Swissfuture, die Schweizerische Vereinigung für Zukunftsforschung, hat solche Megatrends analysiert und die damit verbundenen Handlungsfelder für die Schweiz abgeleitet1. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass städtische Kleinwohnungen in Anbetracht mehrerer Megatrends ein Wohnungsangebot mit viel Potenzial darstellen:

Urbanisierung: Das Wachstum der städtischen Bevölkerung ist eine weltweite Tendenz. Das kommende Bevölkerungswachstum vornehmlich in den bestehenden Siedlungsgebieten zu bewältigen, wurde auch in der Schweiz als Ziel definiert. Städtische Kleinwohnungen können für das verdichtete Bauen im urbanen Kontext einen relevanten Beitrag leisten.

Individualisierung: Insbesondere in urbanen Räumen ist die Individualisierung in westlichen Gesellschaften weit fortgeschritten. Gerade Kleinwohnungen sind auch für einzelne Individuen bezahlbar und können niederschwellig angeeignet und personalisiert werden.

Ökologisierung & Ressourcenverknappung: In der Schweiz ist der ökologische Fussabdruck und der Wohnflächenverbrauch gross. Bei Einpersonenhaushalten liegt der durchschnittliche Wohnflächenverbrauch bei 80 m2. Kleinwohnungen haben das Potenzial, kompakte und ressourcenschonende Wohnlösungen für das kontinuierlich zunehmende Segment der Einpersonenhaushalte zu offerieren.

Kleinwohnungen im Licht der Pandemie - eine Standortbestimmung

‚MinMax’, Boulevard Lilienthal 5 in Opfikon, EMI Architekten Zürich, Bauherrin moyreal immobilien ag © moyreal immobilien ag

Kleinwohnungen im Licht der Pandemie - eine Standortbestimmung

Im Projekt ‚MinMax’ wurden 98 Kleinwohnungen, 3 Clusterwohnungen und 5 Gewerbeeinheiten zusammengefasst. Die Wohnungen integrieren geschickt Loggien in den Grundriss oder bieten mit überhohen Räumen und Maisonette-Typologien hohe räumliche Qualitäten trotz geringer Grundfläche. Grundriss 4. OG © EMI Architekten Zürich

Aufgrund des hohen Potenzials von städtischen Kleinwohnungen im Zusammenhang mit den erwähnten Megatrends ist zu vermuten, dass der pandemiebedingte Nachfragerückgang temporärer Natur ist, sich rasch erholen und möglicherweise in eine Nachfragezunahme umkehren wird. Bauträger*innen und Architekt*innen tun also gut daran, diese Wohnform im Licht der Pandemie nicht abzuschreiben, sondern sich ihr und ihren Herausforderungen vielmehr verstärkt anzunehmen.

Die Auseinandersetzung dürfte sich lohnen. Gerade bei Kleinwohnungen liegt im Spannungsfeld von Suffizienz und Performanz viel Raum für Innovation, Weiterentwicklung und Adaption. Kleinwohnungen sind geradezu eine Einladung, neue Konzepte auszutesten und spezifische Wohnlösungen für bestimmte Lebensweisen und -phasen zu entwickeln. Projektentwickler können sich dabei von Beispielen aus der Wohngeschichte und anderen Kulturen inspirieren lassen, die eine breite Klaviatur im Umgang mit Reduktion, Variabilität, Ordnung und Leichtigkeit offerieren - Wohnen auf kleinem Raum ist nichts Neues. Konkrete Lösungen zu finden, die gesellschaftliches Identifikationspotenzial aufweisen und sich mit dem Ort zu einem attraktiven Lebensraum verknüpfen, ist aber nie trivial, sondern eine baukulturelle Leistung, die wir hochhalten sollten.

1) Swissfuture: ‚Megatrends und Herausforderungen für die Schweiz. Report von swissfuture im Auftrag von digitalswitzerland’, Januar 2018. 2022 abgerufen bei: https://www.swissfuture.ch/de/...

Valentin Müller

Valentin Müller *1974 in Zürich, ist CEO der UTO Real Estate Management AG. UTOREM entwickelt für Kunden Immobilienprojekte und führt direkt gehaltene Immobilienportfolios nachhaltig und transparent. Valentin Müller studierte Architektur an der ETH Zürich, hält einen Master of Science in Real Estate (CUREM), ist Chartered Surveyor MRICS und Stiftungsrat der Stiftung Baukultur Schweiz.

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